schon zehnmal habe ich mich jetzt mit einer hellwachen gruppe von musikerinnen und musikern getroffen. sie alle hören über den tellerrand der musiktheorie hinaus ins offene. der kurs ist durch die gespräche mit kompetenten und erfahrenen musikerinnen äusserst inspirierend.
ein einblick in die kursthematik vom samstag, dem 24. september 16:
tonarten-sphäre Fis/Ges (dur) und dis/es (moll).
„verwechslung“ trifft die sache nicht, darum brauchen wir einen andern begriff: zur zeit der tag- und nachtgleiche ist die enharmonische verwandlung wirksam, im übergang des hellen halbjahres, das seit märz wirkte und die zeit der kreuz-tonarten durchschritt, zur zweiten jahreshälfte, der dunklen sphäre der b-tonarten: gleichzeitig wirken Fis, als letzte der kreuztonarten mit 6 erhöhten tönen und Es, als b-tonart mit 6 erniedrigten tönen.
im übergang, im zeichen der waage, scheint die zeit im labilen gleichgewicht anzuhalten. es herrscht gleichzeitigkeit: das irdische wird im extrem, leicht ausser sich (6 kreuze!)
noch einmal ausgekostet, und "kippt" quasi ins geistig-seelische, das die nächsten 6 monate wirksam sein wird.
der moment der wandlung zeigt sich auch in der natur: gleichzeitig frucht und kern, gleichzeitig laubfall und knospe, gleichzeitig ausleben und verinnerlichen, findet seine entsprechung in der gleichzeitigkeit von Fis und Ges, im moll-bereich von dis und es. die grossen themen und konflikte des tätigen, immer mehr ans licht strebenden vergangenen halbjahres sind vorüber. abgeklärt und vielleicht auch etwas erschöpft, wehmütig, wird zurückgeschaut - genährt in die zeit der feuer und des rückzugs, des schlafes (des sterbens - auch ein übergang) der fantasien und ideen vorangeschritten.
die präludien und fugen bachs, BWV 853 in es-moll und BWV 877 in dis-moll, illustrieren die stimmung der waage-energie.
eine literarische entsprechung zu den oktober-tonarten findet sich in benns gedicht „astern“, das den themen der enharmonischen verwandlung erstaunlich genau entspricht:
Astern
Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.
Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?
Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du -
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,
Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.
Gottfried Benn
2. durchführung des kurses: dezember 17 - dezember 18