lebe ich tatsächlich in einer stadt, in der jugendliche, die eine verrottende villa besetzen, durch die sondereinheit luchs vertrieben und gefangen genommen werden? warum wird nicht der besitzer dieser villa eingesperrt, der willentlich und mit dem segen der stadtregierung wohnraum und historische substanz zerstört um ein gebäude zur geschäftlichen gewinnoptimierung an ihre stelle zu setzen? 

ich habe die jugendlichen gesehen, von denen einige vor dem polizeigebäude (aus einem traum kafkas) für die freilassung ihrer zulange festgehaltenen kollegen demonstrierten: ich weiss kein besseres bild für einsamkeit, verlorenheit. ein häuflein dass gegen die staatsmacht anruft, ohne dass ich ein fenster, eine türe öffnen würde. ist das die art und weise, wie wir in dialog zu treten gedenken mit jenen, die platz möchten für ihre zutiefst vitalen sozialen und künstlerischen interessen, wenn sie nicht unseren vorstellungen von kunst und kultur entsprechen? wegjagen, einsperren, anzeigen? 

diese jugendliche sind unsere zukunft, sie werden in in 10 oder 20 jahren im südpol oder im kkl in den leitungsgremien sitzen, wenn die europäische gesellschaft und auch unsere stadt erkannt haben wird, dass die unterscheidung von kultur in staatsszene und freie szene keinen sinn mehr macht in einer auseinanderbrechenden gesellschaft. vom hohen ross herunter das ungesetzliche verhalten dieser jugendlichen anzuprangern, während jene vom staat gehätschelt werden, die es sich leisten können fast keine steuern zu bezahlen, ihren gewinn auf kosten der allgemeinheit zu optimieren und damit arbeitsplätze zu vernichten, muss zwangsläufig so enden: in der eroberung der letzten vermuteten freiräume. 

in meinem innenhof steht ein atelierhäuschen leer, seit mehr als einem jahr. sein preis stieg beim verkauf um einige hunderttausend franken von tag zu tag, als der besitzer merkte, dass rege nachfrage bestand. die künstlergruppe, die dort arbeitete, musste ausziehen. ich würde es natürlich nie besetzen, da ich zu bequem, feige und verzagt für eine solche aktion bin. mir der illegalität eines solchen verhalten auf lächerliche art und weise bewusst bin, während sich andere legal am verkauf und leerstand dieser immobilie bereichern. aber wie froh bin ich, wenn ich diese jugendlichen vor dem polizeigebäude sehe, die singen: "heicho, heicho, grad jetzt!" - ein kinderlied aus dem jahre 2009! ja! die scheinen wirklich eine riesen gefahr zu sein! schickt die luchse vorbei! und möchte ihnen zurufen: sucht weiter die orte und räume zum "heicho" - für uns alle, und seien es bloss die räume in unseren träumen, lichtdurchflutet und offen für alle. 

(dieser text erfolgt nicht aufgrund genauer beschäftigung mit den fakten, so weiss ich nicht, ob tatsächlich die luchse aufgeboten wurden, sondern möchte meinem tiefen unbehagen darüber, wie mit diesen jugendlichen visionären umgegangen wird, ausdruck verleihen)

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Authorpius strassmann